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Doktorväter, Seminare, Kopfgeburten -- der problematische Ort der Frauen in den Kulturwissenschaften
(1890-1945)

Gemeinschaften werden nicht einfach durch pragmatische, zweckdienliche Überlegungen konstituiert. Sie formieren sich nach Bildern von Ordnung, Bildern der kollektiven Imagination -- z.B. im Bild eines Körpers mit Haupt und Gliedern, oder als große Familie, oder als zölibatärer Männerbund. Dies gilt auch für die universitäre Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Bis ins 19. Jahrhundert konnte sie sich, z.B. in England, als klosterähnlicher Bund begreifen, als Bruderschaft, Gemeinschaft der Gleichen vor dem Ideal der Wissensmehrung und Erkenntnisvertiefung. Als utopischer Entwurf und in der Realität einiger englischer und amerikanischer Frauencolleges entsprach dem auch eine akademische Schwesternschaft, sororitas. Die bürgerliche Universität des späten 19. und des 20. Jhds. hingegen ist dem paternalistischen Modell der bürgerlichen Familie verpflichtet. Der Patriarch -- ordentlicher Professor, Ordinarius 'Lehrstuhl'-Inhaber -- zieht sich seinen würdigsten Sohn als Nachfolger heran, und dieser setzt zu gegebener Zeit seinen Lieblingsschüler wiederum in sein Erbe ein, oder versucht es zumindest. Abraham zeugte den Isak und Isak zeugte den Jakob usf. Es geht nicht an -- auch an den Universitäten nicht --, dass diese rein patriarchalische Erbfolge durch Fremdeinmischung verunklärt wird, etwa durch Auswahlgremien zur Vergabe der Stellen für den akademischen Nachwuchs (wie in den USA), oder durch Berufungskommissionen, die sich dem patriarchalischen Willen widersetzen.

Die Universität ist der natürlichen Familie als patriarchalisches Gebilde überlegen, da für den wissenschaftlichen Reproduktionsprozess die Frau nicht gebraucht wird. Der wissenschaftliche Same ergießt sich nicht in den weiblichen Schoß, sondern in ein 'Seminar' von aufnahmebereiten Jungwissenschaftlern. Deren ersten wissenschaftlichen Austragungs- und Geburtsvorgang begleitet ein 'Doktorvater'. Den Reproduktionsprozess, bei dem die Frau die Hauptrolle spielt, eignete sich also die universitäre Gelehrtenwelt metaphorisch an, und zwar so intensiv, dass die ursprüngliche Bedeutung ganz in den Hintergrund rücken konnte. Biologische Weiblichkeit wird also entrealisiert, wird als Kompetenz dem männlichen Geist zugeeignet. Andererseits wird eine reine, heilige Weiblichkeit phantasiert, Schutzgöttin des männlichen Tuns. Als Sophia ist sie Ziel des Wissenschaftler-Begehrens, als Alma Mater umfängt sie hegend den Forschergeist. Nicht zufällig bleibt die Gottesmutter des alten Münchener Universitätssiegels trotz anderslautender Anweisung der Universitätsleitung bei einer Reihe von Seminaren, Lehrstühlen und Fakultäten im Briefkopf.

Sobald diese männlichen Visionen des Universitätslebens aus der Perspektive von weiblichen Studierenden und Wissenschaftlerinnen bewusst wahrgenommen werden, werden sie problematisch. Wenn der Professor ein 'Seminar' mit jungen Frauen abhält, beginnt der ursprüngliche Wortsinn der Metapher, des Bildspenders, wieder sichtbar zu werden: der geistige Zeugungsvorgang gerät in ein schiefes Licht. Wenn eine Professorin eine Dissertation betreut, so wird die Vater-Metapher in störrischer Weise wieder lebendig: ist die Frau -- entgegen ihres biologischen Geschlechts -- nun auch ein Doktorvater? Oder aber ist sie Doktormutter? -- was ihr dann eine völlig andere Rolle im Promotionsvorgang zuschreiben würde. Es ginge absurderweise nicht mehr um die männliche 'Zeugung' der Dissertationsthese, sondern um die weibliche Funktion des Austragens bis zur glücklichen 'Kopfgeburt' des Werks.

Die sprachlichen Merkwürdigkeiten sind nicht nur liebenswürdige oder komische Kuriositäten. In ihnen ist die Norm der patriarchalischen Ordnung der Universität festgehalten. Sie deuten an, dass die traditionell frauenausschließende Beschaffenheit der bürgerlichen Universität noch nicht überwunden ist. An ihnen wird deutlich, dass die wissenschaftliche Diskriminierung von Frauen nicht einfach damit behoben ist, dass ihnen formal der freie Zugang zur Institution gegeben wird (auch wenn dies wichtig und ein Jahr des Feierns wert ist!). Die Bedenken gegen Frauen in der Wissenschaft sind damit nicht ausgeräumt. Sie gründen tief im patriarchalischen Selbstverständnis der Institution. "Die Frau mag zwar an sich gut sein, aber sie passt nicht zu uns": so lautet meiner Erfahrung nach die häufigste Erklärung von Dekanen und Fakultäten für die Zurücksetzung einer Frau (auf Platz 2 oder 3) hinter einen Mann auf einer Berufungsliste. Das stimmt leider grundsätzlich: die Frau hat in im akademischen Imaginären keinen sicheren Ort.

Aber: Frauen sind anpassungs- und wandlungsfähig, Überlebenskünstler auch hier. Nur so konnte es ihnen immer wieder gelingen, in ihrem Ehrgeiz und ihren wissenschaftlichen Leistungen ernst genommen zu werden und sogar die Bestätigung ihrer Arbeit durch die Zuerkennung von Stellen, manchmal selbst von Spitzenpositionen zu erlangen. Unser DFG-Projekt "Frauen als innovative Kraft in der Wissenschaft" untersucht mit den Inhalten und Methoden der Arbeit von weiblichen Wissenschaftlern zugleich auch deren Durchsetzungsstrategien. Wir konzentrieren uns dabei auf die besonders schwierige Pionierzeit der ersten Hälfte des 20. Jhts. Davon soll heute berichtet werden. Ähnlichkeiten mit dem Universitätsleben der Gegenwart sind wohl nicht ganz zufällig.
Grob gesprochen lassen sich drei Strategien unterscheiden, mit denen sich die Frau in die patriarchalische Wissenschaftsgemeinschaft einzubringen versuchen konnte.

1. Sie gab sich wissenschaftlich wie ein Mann, trat möglichst maskulin auf, übernahm die Umgangsformen der akademischen Hackordnung, vermied weibliche Solidarität und weibliche Forschungsthemen. Sie eignete sich den männlichen wissenschaftlichen Diskurs an mit seinen autoritätsgebietenden Gesten und seiner leichten Aggressivität. Einzelne männlich sich verhaltende Frauen in männlichen Machtpositionen können akzeptiert werden; die allgemeine Patriarchatsforschung hat festgestellt, dass solche Ausnahmen das patriarchalische System nicht bedrohen sondern es vielmehr bestätigen.

2. Sie gab sich als konventionelle Frau. Vor allem in der Frühphase konnte die Rolle der unterwürfigen, hilfsbereiten Tochter des wissenschaftlichen 'Vaters' die Karriere befördern. Nicht selten war dieses Vater-Tochter Verhältnis erotisiert. Die akademische Tochter streichelte den Stil des väterlichen Textes glatt, sie trug die Fußnoten nach. Mit ihrer weiblichen sozialen Kompetenz überbrückte sie Kommunikationsstörungen in der Männergesellschaft. In ihren eigenen Publikationen pflegte sie die Bescheidenheit des Tons, das Bekenntnis der Begrenztheit ihrer Perspektive. Sie betrieb vor allem positivistisch konkrete Faktensammlung und hingebungsvolle Detailsicherung, lieferte in mühseliger Kleinarbeit die Beweise für männliche Theorien und Thesen -- "mit der feinen Genauigkeit der Hausfrau" (so sagt es eine Wissenschaftlerin kurz vor 1900). Sie übernahm die Aufgabe der Wissensvermittlung, der Popularisierung, der Didaktik. Sie betrachtete es -- mit einem Wort von Marianne Weber -- als ihren Auftrag, "das von dem schöpferischen Genius entzündete Feuer in das verschleierte Tal des Lebens zu tragen".

3. Oder sie verstand sich 'anders'. Vor allem in der frühen Zeit, vor und um 1900 gab es solche Wissenschaftlerinnen, die eine alternative weibliche Wissenschaftlichkeit jenseits von patriarchalischen Werten und Verhaltensweisen verwirklichen wollten -- allerdings überlebten sie zumeist höchstens bis zur Promotion innerhalb der Universität. Solche Frauen waren, wie ihre männlichen Kollegen, der Ansicht, dass das Genie ein Geschlecht habe, doch im Unterschied zu jenen war für sie das weibliche das überlegene Genie. Das vorliegende universitäre Wissen könne (so ihre Auffassung) als Produkt rein männlichen Denkens nur einen Teilbereich des menschlich Wissbaren abdecken. Es war deshalb ihre Aufgabe, andere Bereiche zu erforschen, wichtigere Fragestellungen zu verfolgen und bessere Problemlösungen zu entwickeln. Mit Postulaten wie Enthusiasmus, Empathie, lustvolle Neugier transzendierten sie den männlich-aufklärerischen Rationalitätsbegriff, mit der Forderung von moralischem und ökologischem Engagement männliches Zweckdenken. Ihr Ideal war eine visionäre, dionysische Wissenschaft: "Things unseen before or insignificant shine out in luminous projection ... New tracks open up before us", so die Klassische Philologin Jane Harrison (Themis, 1927, xii). Sie wollten verschiedenste Bereiche, die in den Universitätsdisziplinen, nicht aber im Leben getrennt sind, wieder in Zusammenhang sehen und sie wollten "durch das Minenfeld der Methodologien" einfach hindurch"tanzen" (Annette Kolodny). Sie verschmähten, wie Virginia Woolf, den gepflegten und gewalzten, elitären Rasen, auf den die Männercolleges in Oxford so stolz waren; und sie liebten die offenen, leicht verwilderten, vielfach blühenden und geheimnisvoll duftenden Gärten, von denen die Frauencolleges typischerweise umgeben waren (Room of One's Own). Manche von ihnen (Alice Stopford Green, Helene von Druskowitz) charakterisierten sich unter positivem Vorzeichen als 'wild' und 'anarchisch'; die männliche Fachwelt konnte diese Attribute als Schimpfworte aufgreifen und fügte manchmal noch 'verrückt' hinzu.
Unsere Fallstudien innerhalb des DFG-Projekts konnten leider bisher nur wenige der fast vergessenen Wissenschaftlerinnen wieder sichtbar machen -- hier ist für die Wissenschaftsforschung noch ein weites Feld zu erkunden. Unser vorläufiger Gesamteindruck ist der, dass die Selbstmodellierung der Frau als Wissenschaftlerin sich zwischen den binären Oppositionen vollzog, in denen sich normale Menschen mehr oder weniger sicher einrichten -- oder zumindest in der Vergangenheit eingerichtet haben: zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, zwischen homo- und heteroerotischen Beziehungen, zwischen Wissenschaft und Leben, zwischen rationaler Argumentation und euphorischer Kreativität, sozialer Verantwortung und einsamer Intellektualität. Bonnie G. Smith, die die Geschichte der Geschichtswissenschaftlerinnen geschrieben hat, schlägt vor, diese Generation von Frauen als das 'dritte Geschlecht' zu bezeichnen: "Women Professionals: A Third Sex" (The Gender of History, Kap.7). Eine solche Existenz in-between ist nicht leicht, manche Frauen (Helene von Druskowitz, Virginia Woolf) sind in tragischer Weise daran zerbrochen. Doch in dieser Situation sind Arbeiten entstanden, die zum Teil so neu und anders sind, dass die männliche Universitätswissenschaft erst Jahrzehnte später zu begreifen beginnt -- und zum Teil wohl auch bis heute nicht begriffen hat -- was hier geleistet worden ist.

Ina Schabert

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